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Donnerstag, 19. April 2012


Brief Maximilien Robespierres an seinen Freund, Antoine Buissart, und dessen Frau aus Carvin.

Nun, ich habe einen halben Tag damit zugebracht, einen Brief des 25-jährigen Maximilien Robespierre aus dem Französischen zu übersetzen. Ich hoffe, ich habe keine schlimmen Schnitzer gemacht, hatte aber jedenfalls viel Spaß dabei (besonders bei dem Gedicht, welches ich - jawohl! - sowohl übersetzt als auch gereimt habe). 
Wir erleben hier Maximilien als jungen Anwalt, eine faszinierende Mischung aus antiquisierendem Bildungsbürger und jugendlichem Scherzkeks. Im Juni 1783 unternahm er eine Reise in die Geburtsstadt seines Großvaters, Carvin, nördlich von Arras. Laut der französischen Wikipedia verbrachte er die Pfingstfeiertage bei den dort noch lebenden Vettern. Die Datenangaben im Brief selber legen dies nahe: Pfingsten 1783 war am 8. und 9. Juni, Maximilien müsste am Freitag, den 6. Juni angekommen sein, der Samstag vor dem 12. Juni findet Erwähnung. 
Nun aber viel Vergnügen beim Lesen fremder Leute Briefe!



Monsieur,

Es gibt keine angenehmen Freuden, wenn man sie nicht mit seinen Freunden teilt. Also werde ich Ihnen ein Bild malen von den Freuden, die ich seit einigen Tagen koste.
Erwarten Sie keinen Reisebericht von mir, Werke dieser Art gibt es seit einigen Jahren in solcher Menge, dass das Publikum ihrer satt sein dürfte. Ich kenne einen Autor, der eine Reise von fünf Meilen machte und sie in Vers und Prosa pries.


Von Arras über Lens nach Carvin.
Was ist jedoch dieses Unternehmen im Vergleich zu dem, welches ich vollbracht habe? Ich bin nicht nur fünf Meilen gefahren, sondern derer sechs, noch dazu sechs so gute, dass die Leute dieses Landes behaupten, sie wären sieben gewöhnliche Meilen wert.1 Dennoch werde ich Ihnen kein Wort von meiner Reise erzählen. Es ärgert mich für Sie, denn Sie selber verlieren dadurch, es entgehen Ihnen unendlich interessante Abenteuer: die des Odysseus und Telemachos sind nichts dagegen.

Es war fünf Uhr am Morgen, als wir aufbrachen; das Gefährt, das uns just in dem Augenblick, da die Sonne sich aus dem Busen des Ozeans erhob, zu den Stadttoren hinaus trug, das also war mit einem Tuch von strahlenden Weiß geschmückt, dessen Ende im Atemzug des Zephyrs hinterher flatterte; und so zogen wir im Triumph an den Dächern der Landarbeiter vorbei. Sie können sich schon denken, dass ich nicht umhin kam, mich nach dieser Seite herumzudrehen, ich wollte sehen, ob diese Wächter des Hofes dem altehrwürdigen Ruf ihrer Ehrlichkeit gerecht würden, und ich selber, getragen von edlem Nacheifern, wagte mir zum Ruhme vorzustellen, dass ich sie in Höflichkeit schlagen könnte, wenn dies den möglich sein sollte. Ich lehnte mich aus dem Fenster, setzte den neuen Hut, den ich trug, auf's Spiel, indem ich sie mit freundlichem Lächeln grüßte, ich hoffte auf eine anständige Erwiderung. Glauben Sie's? Diese Arbeiter standen stockstill, betrachteten mich festen Blicks ohne mir meinen Gruß zukommen zu lassen! Ich hatte ja schon immer eine unendliche Eigenliebe; dieses Zeichen der Geringschätzung verletzte mich zutiefst und gab mir für den Rest des Tages eine unerträgliche Stimmung.

Währenddessen beförderten und unsere Pferde mit einer Geschwindigkeit, die man sich nicht vorstellen kann. Sie schienen mit der Leichtigkeit der Pferde des Sonnenwagens konkurrieren zu wollen, der über unseren Köpfen flog; so wie ich selber ja auch die Landarbeiter vor den Toren von Méaulens herausgefordert hatte. Mit einem Satz überqueren sie die Vorstadt Sainte-Catherine, sie taten einen zweiten, und wir standen auf dem Marktplatz von Lens; in dieser Stadt nahmen wir einen kurzen Aufenthalt. Ich nutzte die Gelegenheit, die Schönheiten anzusehen, die Lens dem wissensdurstigen Reisenden bietet. Während die übrige Reisegesellschaft zu Mittag aß, stahl ich mich davon und stieg auf den Hügel, auf dem der Kreuzweg nachgebildet ist; von dort ließ ich meine Blicke mit einem Gefühl, in dem sich Zärtlichkeit und Bewunderung mischten, über diese weite Ebene wandern, wo Condé als Zwanzigjähriger diesen berühmten Sieg über die Spanier errang, der das Vaterland rettete.2 Aber dann fesselte ein noch viel interessanteres Ziel meine Aufmerksamkeit: es war das Rathaus. Dieses zeichnet sich weder durch seine Größe noch durch seine Pracht aus, doch kam ihm wohl zu, mein lebhaftestes Interesse zu wecken; in diesem so bescheidenen Gebäude, dachte ich bei mir indem ich es betrachtete, befindet sich das Heiligtum, wo der Bürgermeister T--, die runde Perücke auf dem Kopf und die Waage der Themis3 in der Hand, dereinst mit Unparteilichkeit das Recht seiner Mitbürger abwog. Als Justizminister und Liebling des Aeskulap sprach er erst Recht und stellte dann ein Rezept aus. Der Verbrecher und der Kranke empfanden den gleichen Schrecken vor ihm, und dieser doppelte Titel stattete diesen großen Mann mit der größten Macht aus, die je ein Mensch über seine Mitmenschen ausüben konnte.
Hôtel de Ville, Lens. 

In meinem Enthusiasmus ließ es mir keine Ruhe, ehe ich nicht ins Innere des Rathauses eingedrungen war. Ich wollte den Anhörungssaal sehen, ich wollte das Tribunal sehen, wo der Magistrat tagt. Ich lasse also den Schließer in der ganzen Stadt suchen – er kommt – er öffnet – ich stürze mich auf den Anhörungssaal. Von religiöser Ehrfurcht ergriffen, falle ich in diesem erhabenen Tempel auf die Knie und küsse mit Hingebung den Sitz, auf dem sich einst der Hintern des großen T-- breit gemacht hatte. So hatte sich Alexander vor dem Grab des Achilles zu Boden geworfen und Caesar dem Denkmal die Ehre erwiesen, das die Asche des Eroberers Asiens einschloss.

Wir stiegen wieder in unseren Wagen, und kaum hatte ich es mir auf meinem Strohbündel bequem gemacht, als sich Carvin vor meinen Augen auftat; und beim Anblick dieses glücklichen Bodens stießen wir einen Freudenschrei aus, der dem glich, den die Trojaner vor der Küste Italiens ausstießen, als die gerade dem Desaster in Ilium entkommen waren.
Die Dorfbewohner bereiteten uns einen Empfang, der uns gut für die Gleichgültigkeit der Arbeiter in Méaulens entschädigte. Bürger aller Klassen zeigten regen Eifer, uns zu sehen, der Schuster ließ sein Werkzeug fallen, mit dem er gerade eine Sohle durchbohren wollte, um uns müßig zu betrachten; der Friseur ließ eine halb fertige Rasur im Stich und lief auf uns zu, das Rasiermesser noch in der Hand; die Hausfrau setzte sich der Gefahr aus, ihre Kuchen zu verbrennen, um ihre Neugier zu stillen. Ich habe drei Gevatterinnen gesehen, die eine sehr angeregte Unterhaltung unterbrachen, um ans Fenster zu fliegen; endlich genossen wir während der Durchfahrt, die ach! zu kurz war, die schmeichelhafte Befriedigung unserer Eigenliebe, als sich zahlreiches Volk um uns bekümmerte. Wie süß ist es zu reisen, sagte ich bei mir! Man hat wohl recht zu sagen, dass der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, an den Pforten Ihrer Stadt verachtet man Sie; sechs Meilen weiter werden Sie eine der öffentlichen Neugier würdige Persönlichkeit.
Solcherart waren meine weisen Überlegungen, als wir das Haus erreichten, das den Endpunkt meiner Reise darstellte. Ich versuche gar nicht erst, Ihnen die Wallungen von Zärtlichkeit zu beschreiben, die nun aus unseren Umarmungen ausbrachen: dieses Spektakel ließe Sie in Tränen ausbrechen. Ich kenne in der ganzen Geschichte nur eine einzige Szene dieser Art, die man als Vergleich anführen könnte; Als Aeneas nach dem Sieg über Troja mit seiner Flotte in Epirus an Land ging, fand er dort Helenos und Andromache vor, die das Schicksal auf den Thron Pyrrhus' gesetzt hatte. Man sagt, ihr Treffen sei allzu zärtlich gewesen. Ich zweifele nicht daran. Aeneas mit seinem ausgezeichneten Herz, Helenos, der beste Trojaner der Welt und Andromache, die empfindsame Gattin des Hektor, vergossen viele Tränen, seufzten gar viel bei dieser Gelegenheit; ich würde gerne glauben, dass ihre Zärtlichkeit die unsere nicht in die Schranken weist, aber Helenos, Aeneas, Andromache und wir – da muss man wohl das Handtuch werfen.

Seit unserer Ankunft waren alle unsere Augenblicke mit Vergnügungen gefüllt.
Seit letzten Samstag esse ich unablässig Kuchen. Das Schicksal wollte, dass mein Bett in einer Kammer steht, die auch als Lager der Konditorei dient: das hieß so viel wie mich der Versuchung auszusetzen, die ganze Nacht durch zu essen; aber ich habe nachgedacht, dass es schön ist, seine Leidenschaften zu beherrschen, und so habe ich inmitten all dieser verführerischen Dinge geschlafen. Natürlich habe ich mich am Tage für diese lange Abstinenz entschädigt.
Robespierre 1783, von Boilly.

Oh, dich segne ich, der mit geschickter Hand
Gefügigen Teig zu kneten verstand,
Den Sterblichen Köstliches gegeben hat.
Doch dankten sie dir die teure Tat?
Von deiner Himmelsgabe angesteckt,
Hat Ruhm denn ihren Eifer geweckt?
Hundert Völker vergeuden Weihrauch und Schwur
und füllen Olymp und Tempel doch nur;
An den erhab'nen Genius hat niemand gedacht,
Der ihnen Ambrosia auf Erden gebracht.
Auf Festtafeln herrscht der Kuchen lecker,
Doch denkt wohl jemand an seinen ersten Bäcker?

Von allen Arten der Undankbarkeit, derer sich das Menschengeschlecht schuldig gegenüber seinen Wohltätern gemacht hat, war es genau diese, die mich immer aufgebracht hat; die Strafe gebührt den Artesianern, denn nach dem Urteil von ganz Europa sind sie es, die von allem Völkern der Welt den Wert eines Kuchens am besten kennen. Ihr Ruhm verlangt es, dass sie einen Tempel zu Ehren seines Erfinders bauen. Unter uns gestehe ich Ihnen sogar, dass ich hierüber bereits ein Projekt entworfen habe, welches ich dem Rat von Artois vorstellen möchte. Ich zähle darauf, dass es vom Klerus mächtig unterstützt wird.

Es reicht aber nicht, Kuchen zu essen, man muss ihn auch in guter Gesellschaft essen; diesen Vorteil hatte ich. Gestern erhielt ich die höchsten Ehren, nach denen ich jemals streben könnte: ich habe mit drei Leutnants und dem Sohn eines Vogtes zu Abend gegessen, die ganze Magistratur der Nachbardörfer war an unserem Tisch versammelt. Inmitten dieses Senats glänzte der Herr Leutnant von Carvin wie Kalypso inmitten ihrer Nymphen. Ach!, wenn Sie gesehen hätten, mit welcher Güte er mit den übrigens der Gesellschaft plauderte, als wäre er ein gewöhnlicher Sterblicher, mit welcher Nachsicht er den Champagner beurteilte, den man ihm einschenkte, mit welch zufriedener Miene er sein Abbilde anzulächeln schien, das sich in seinem Glas abzeichnete! All das habe ich mit eigenen Augen gesehen...
Und dennoch ist es so schwer, das menschliche Herz zu erfreuen. Noch sind meine Gelübde noch nicht erfüllt und ich bereite mich auf meine baldige Rückkehr nach Arras vor, ich hoffe, dass Sie zu sehen mir ein wirklicheres Vergnügen bereiten wird als die, von denen ich Ihnen erzählt habe. Wir werden uns mit der selben Befriedigung wieder sehen, wie sie Odysseus und Telemachos nach zwanzig Jahren der Abwesenheit empfunden haben müssen. Es wird mir keine Mühe bereiten, meine Vögte und Leutnants zu vergessen. So verlockend ein Leutnant auch sein kann, glauben Sie mir, Madame, er könnte Ihnen niemals das Wasser reichen.
Sein Gesicht, selbst wenn es der Champagner mit zarter Röte färbt, bietet längst nicht den Reiz, den die Natur allein dem Ihren verliehen hat, und die Gesellschaft aller Vögte des Universums könnte mich nicht für Ihre liebenswürdige Unterhaltung entschädigen.

Ich verbleibe mit der aufrichtigsten Freundschaft, Monsieur, Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener.

De Robespierre.

In Carvin, am 12. Juni 1783.



1 Die Strecke, auf der Robespierre reiste, ist etwa 30 km lang.
2 Tatsächlich war Louis Prince de Condé (1621-1686) bei der Schlacht von Lens, die am 20. August 1648 stattfand, bereits knapp 27 Jahre alt.
3 Griechische Göttin der Gerechtigkeit.


1 Kommentar:

  1. Tatsächlich schreibt Robespierre sehr witzig und eigenironisch.....dass er sich trotz seiner Eigenliebe, wie er sie selbst deutlich beschreibt, auf die Schippe nehmen kann, brachte mich beim Lesen des Briefes sehr zum Schmunzeln. Am Witzigsten finde ich eigentlich seine Kuchenverehrung, besonders der Teil, in dem er sich für die nächtliche Abstinenz belohnt...es ist ja nicht so, dass man im Schlaf ohnehin nichts essen kann :-D....und dass er ein Gedicht über das Kuchenbacken schreibt zeugt entweder, wie schon erwähnt von stark ausgeprägtem Humor oder von einer kuriosen Ader, die er sicher auch hatte....im Grunde trifft also beides zu....

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